Still und leise - Helena findet zu sich selbst
Ganz alleine zu sich selbst finden - das besondere Date mit mir.
Du brauchst die Erfahrung, wie es ist, mit dir allein zu sein und nicht durch einen anderen Menschen definiert zu werden.” – Oscar Wilde.
Letztes Wochenende, nach ein paar ziemlich schönen aber dennoch stressigen Tagen um meinen Geburtstag herum, habe ich mir ganz bewusst einen Tag nur für mich genommen. Ich habe mich nicht verabredet, nicht gearbeitet und bin nur für mich gewesen. Angefangen mit einer langen Schlenderei über einen Berliner Flohmarkt, der mit einem Kaffee und einer Zimtschnecke endete, über einen ausgedehnten Spaziergang etwas außerhalb der ständig lauten Stadt bis zu einem schönen selbst gekochten Essen zuhause. Ich hatte Musik in den Ohren, Koffein im Blut und Sonne im Gesicht. Als die Sonne unterging ging ich satt und zufrieden in mein Zimmer, schloss die Tür und ließ mich eine Weile in meinen Gedanken und meiner eigenen Gesellschaft treiben. Es war ein perfekter Tag.
Ich habe einige Monate alleine gewohnt, als ich nach Berlin kam. Doch “Allein sein” wurde schnell zur Einsamkeit, weshalb ich nun eine Mitbewohnerin habe, die mir das Gefühl gibt, nicht mehr einsam sein zu müssen. Das schätze ich sehr wert und möchte ich auch nicht mehr missen. Allerdings, nach Wochenenden wie dem letzten, bei welchen ich fast rund um die Uhr von Leuten und Besuch umringt bin, spüre ich richtig in mir, wie gerne ich einfach meine Zimmertür zumachen und alleine sein möchte. Als bräuchte ich dringend wieder Zeit, um meine Batterien aufzuladen, zu atmen, zu verarbeiten. Auch um “anderer” Arbeit mal wieder nachzugehen, der kreativen Arbeit, die, die ich immer wieder hinten anstelle, um zum Beispiel Zeit mit anderen Menschen zu verbringen. Wissenschaftler fanden heraus, dass es tatsächlich kreativer macht, wenn man sich hin und wieder mal zurückzieht. In der Stille wird nämlich eine Region im Gehirn stimuliert und aktiviert, die sich Default Mode Network nennt. Dies führt zu besserer Konzentration und somit zu kreativen Ideen.
Zugegeben, bis vor einiger Zeit, hatte ich ein großes Problem damit, alleine zu sein- ja, fast schon Angst davor. Ich bin ein sehr aufgeschlossener und sozialer Mensch, zumindest habe ich mich so schon immer selbst wahrgenommen, ich war stets von Freunden oder Familie umgeben. Dass ich tief in mir auch das Bedürfnis nach dieser besonderen Ruhe habe, die nur ganz ohne andere Menschen entstehen kann, war mir bis vor Kurzem gar nicht so sehr bewusst. Und doch kann ich erst herausfinden, was ich will und wer ich bin, wenn ich völlig frei von anderen Einflüssen bin. Erst durch bewusst selbstgewähltes Alleinsein merke ich, mit wem ich meine Zeit auch eigentlich verbringen will, welche Einflüsse mir gut tun.
- Je stiller du wirst, desto mehr kannst du hören - Chinesisches Sprichwort
Natürlich ist dies auch ein Luxus, ich habe keine Kinder oder muss mich um irgendwen kümmern, so dass ich mir gut mal einen Abend für mich alleine einplanen kann. Allerdings merke ich auch, dass oft nur eine halbe Stunde ausreicht, um Energie zu tanken und durch Aktivitäten, die mir allein auch Spaß machen, ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Natürlich muss die Balance stimmen. Zwischen Arbeit, Sozialleben und Zeit allein- welcher Anteil da wie vertreten ist, ist individuell unterschiedlich. Manche brauchen mehr Zeit, um Erlebtes zu verarbeiten, andere weniger. Und doch ist es wichtig, diese Überstimulation, der wir in dieser schnellen Welt ausgesetzt sind, hin und wieder abzubauen, indem wir uns mit einem Buch oder Musik an unseren Wohlfühlort setzen oder einfach nur liegen und denken. Oder auch mal nicht denken, noch besser.
Den Stress bekämpfen bevor er da ist, das ist das Ziel und doch so oft einfach nicht umsetzbar. Bluthochdruck, Rücken-Kopf-Nacken-Magenschmerzen- es gibt viel zu viele körperliche Symptome, die dann auch von mentaler auf körperlicher Ebene ungesund werden können. Durch ein regelmäßiges Runterfahren des eigenen Systems kann man die Symptome mildern oder gar schwinden lassen (trotzdem bitte nicht auf ärztlichen Rat verzichten!).
Ich habe nun wieder Lust, Leute zu treffen, ich bin wieder “aufgeladen”, habe meine Energie und Klarheit für die Woche und freue mich auf Begegnungen und Freunde. Nehmt euch doch diese Woche einen Abend vor, der nur euch selbst gehört. Und in der Woche darauf auch. Und in der darauf.
Kleiner Buchtipp am Rande: In meinem Studium habe ich ein Buch von Virginia Woolf gelesen: “Ein Zimmer für sich allein”. Darin schreibt sie wie es Frauen gelingt, kreativ und erfolgreich zu werden: Dazu braucht sie ein wenig Geld und ein eigenes Zimmer. Ein eigener Raum ist zentrale Voraussetzung für ein freies Leben und für körperliche und seelische Gesundheit. Damit ist der Essay nicht nur eine Perle der feministischen Literatur, sondern er setzt die dringend nötige Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit in den Vordergrund, die ein Rückzugsort hervorbringen kann.